Welche Sprache spricht das Unbewußte ?

Seminar 2011-2012

Ein Vorschlag von Michèle Jung für eine Arbeitsgruppe
(Die Praxis der deutschen Sprache ist unerlässlich)

Die Ichspaltung

Die Ichspaltung - photo Anna David

« Eine Übersetzung, die wortwörtlich ist, bleibt leblos…» schrieb Jacques Hassoun in L’exil de la langue.

Eine Sprache im Exil, eine verlorene Sprache, wie eine Mutter, wie ein Heimatland. Henri Bauchau hat eine Romanperson : Merence genennt. Dieses Wort ist aus « Mère » und «Absence» konstruiert, um die enge Verbindung des Fremden mit der Mutter zu betonen, sowohl seiner leiblichen Mutter als auch mit seinem Mutterland, seiner Heimat. Merence ist die imaginäre und schützende Gestalt der Kindheit, die « Sibylle », die durch ihre rätselhafte Sprache Schutz ist, diese Sprache, die vor allen späteren Anfechtungen schützt. Als ob die Gestalt der Mutter durch die Sprache nur entstellt werden kann.

Woher kommt es, dass sich das Vaterland : Mutter Heimat nennt ?

Hier, in Frankreich, wünschen deutschssprachige Patienten, ihre Psychoanalyse in deutscher Sprache zu machen. Aber warum hier, in Frankreich ? Weil sie hier wohnen, wenn sie im Ruhestand sind ? Wollen sie sich vom « Mutterland » entfernen, um sich besser‚ wieder der Muttersprache anzunähern. Indem wir dieses Nachdenken führen, werden wir nicht vergessen, dass Kleist in deutscher Sprache stotterte und nicht in Französisch.

Sich für dieses Durchqueren der Sprachen zu interessieren, um in die Arbeit einzutreten — die Arbeit des Realen, die das Subjekt in der ganzen Dichte seiner Geschichte befragt…

Dieses Seminar findet jeden dritten Montag im Monat
bei Michèle Jung in Avignon (Frankreich)
statt.

Erste Sitzung am Montag 16. Januar 2012 um 20 Uhr

Contact : Michèle Jung
06 82 57 36 68 – michele.jung@kleist.fr

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6 Arbeitsitzungen/Januar-Juni

Zusammenfassung

Dieses Jahr wollten wir an den Motivationen arbeiten, die unsere deutschen Patienten dazu bewegen, in Frankreich eine Psychoanalyse in ihrer Muttersprache zu beginnen.

Die erste Frage war : Warum mussten sie sich vom « Mutterland » zurückziehen, um sich ihrer Muttersprache wieder anzunähern ? Um auf diese Frage eine Antwort zu finden, haben wir zunächst die beiden Sprachen, die deutsche und die französische, durchforscht – eine nötige Vorleistung, um in die Arbeit der Psychoanalyse einzutreten, anders gesagt in die Arbeit mit dem Realen, die das Subjekt in der ganzen Dichte seiner Geschichte hinterfragt…

In diesem besonderen Zwischenraum, der Schwelle, der ungleich gewichteten Identität, der mehr oder weniger genehmigten Entfernung von der Muttersprache, haben wir bemerkt, dass das Subjekt die Erscheinungsform seines Symptoms ändern kann, und dies ohne es zu verschieben. Der Abstand zwischen den Sprachen regt den Gedanken an, löst das Nachdenken aus, öffnet neue Perspektiven, das heißt : eine Stellvertreterarbeit zwischen lalangue1des Exils und lalangue der Mutter. Radu Turcanu sagt über Cioran : « Es handelt sich darum, (…) den Genuss, also den Schmerz leichter zu machen, den das Subjekt in dieser Muttersprache erlitt ».

Erinnern wir uns daran, was Lacan seit dem Seminar « Encore », 1972, schreibt : « das Unbewußte ist als eine Sprache strukturiert » (siehe unsere Synthese von Januar bis Juni 2007). In diesem Seminar spricht er von lalangue. Lalangue ist die Muttersprache, die Sprache, die vom Kleinkind gesprochen und gehört wird, die Sprache der Affekte, in der das Symptom eingebettet ist. Die Sprache, die eine wesentliche Rolle für den Aufbau des Unbewussten spielt.

Im nächsten Jahr möchten wir die Untersuchungen zu der lalangue Freuds wieder aufnehmen, die wir vor einigen Jahren begonnen haben. Er sagte von sich selbst, er sei ein « entwurzelter Intellektueller», auf der heftigen Suche nach einer Sprache, die er nicht kannte : er hat Freiberg (in Mähren) mit 3 Jahren verlassen, um in Wien zu leben …

Bibliographie

  • Jacques Hassoun : « L’exil de la langue ». Point. Hors Ligne, Paris, 1993.
  • Colette Solers. L’énigme du savoir. PUF, 2011.
  • Bernard Hoepffner. L’exil de la langue.
  • Jacques Derrida, Catherine Malabou. La contre-allée, Voyager avec Jacques Derrida. Essai, 1999.
  • La parole et l’écrit dans la psychanalyse. Champ lacanien. Revue de psychanalyse N° 10, page 118.
  • Jacques Lacan. Encore Séminaire Livre XX. Seuil.

 

Michèle Jung
Avignon décembre 2012

1Concept lacanien